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Fiducia Supplicans – Das flehende Vertrauen

Neues aus Rom

Vor gut drei Jahren, also im Frühjahr 2021, sorgte ein Schreiben von Papst Franziskus mit dem Verbot der Segnung von gleichgeschlechtlichen Paaren für viel Aufregung in der katholischen Kirche in Deutschland, in den Pfarrgemeinden in Belm und auch im kleinen Icker.
Kurz vor Weihnachten 2023 kam aus dem Vatikan ein weiteres Schreiben zur Segnung sich liebender Menschen, das genauso viel Beachtung erfahren sollte und sicherlich auch wird.
Martina Kreidler-Kos nimmt in ihrem zwölften Kirchenkram – Beitrag auf dem YouTube-Kanal „Das Bodenpersonal“ Stellung zu diesem Schreiben. Den Text des Videos können Sie hier lesen, den Link zum Video finden Sie weiter unten:

„Fiducia Supplicans“

Überraschung gelungen! Große Aufregung in der kleinen Bubble Katholische Kirche. Nun gibt es doch tatsächlich ein Schreiben aus Rom, mit Unterschrift des Papstes, dass die Segnung liebender Menschen ermöglicht – auch wenn sie nicht kirchlich verheiratet sind. Und kaum ist dieses Schreiben raus, geht auch schon die Auseinandersetzung um seine Deutung los. Was ein gutes Zeichen ist, offensichtlich ist etwas in Bewegung geraten. Die einen rufen: Halt! Stopp! Das kann gar nicht so gemeint gewesen sein! Und die anderen: Schaut her, eine kleine Revolution. Es wird euch nicht überraschen: Ich bin Team „Revolution“. Warum? Was dahinter steckt? Und vor allem, wie es jetzt weitergehen kann, erfahrt ihr in diesem Video.

Kurz zu den Fakten: 18. Dezember 2023 erreicht die ganze Welt ohne jede Vorwarnung eine Erklärung des Dikasteriums für die Glaubenslehre – wichtige Behörde im Vatikan – zum Thema „Pastoraler Sinn von Segnungen“. Den lateinischen Titel muss man ein bisschen üben: „Fiducia supplicans – deutsch: das flehende Vertrauen“. Etwa sieben Seiten Text und die haben es in sich. Da heißt es: Das klassische Verständnis von Segnungen soll „erweitert und bereichert“ werden. Das klingt nach Veränderung. Ebenso der Ausdruck „neue Klarstellungen“ zum vormaligen „Nein!“ zu Segensfeiern. Das war ja noch kurz und knapp im Februar 2021 aus derselben Behörde verlautbart worden – allerdings unter einer anderen Leitung. Und deshalb fragt man sich jetzt: Richtungswechsel? Kurskorrektur? Ja – auch wenn es das Schriftstück anders nennt bzw. einfallsreiche Schlaufen dreht, die zwischendurch echt ein bisschen verschraubt klingen. Aber ich sehe die – gute - Absicht dahinter: Es soll etwas möglich werden, was bisher offiziell nicht möglich war. Menschen sollen sicher um einen Segen bitten können und Seelsorger*innen sollen sicher sein, wenn sie positiv darauf reagieren.
Die Frage ist ja nicht neu. Ganz offen erinnert dieses Schreiben daran, dass die vormalige Behörde noch zu einer negativen Antwort gekommen ist. Ich finde das erstaunlich. Man hätte sich auch zurücklehnen können, nach dem Motto: Bitte nicht noch mehr Aufregung! Gras über die Sache wachsen lassen, Ruhe reinbringen. Aber nein, virulente Fragen, theologische Diskussionen und gute Erfahrungen aus vielen Teilen dieser Weltkirche werden nicht ignoriert, sondern bearbeitet. Bereits gegebene Antworten werden überdacht und weiterentwickelt. Das nenne ich eine kleine Revolution.
Was die jetzt möglich macht? Ich finde zwei Zauberwörter in diesem Text. Das eine: „pastorale Vertiefung“. Heißt, der Ball liegt im Feld der Praktiker*innen. Da bin ich eine von und deshalb freue ich mich über diese – ich sage es noch einmal - Kurskorrektur: Nicht mehr: Zuerst die Lehre und alles, was nicht darunter passt, soll sehen, wie es klarkommt – sondern: Zuerst die Situation vor Ort anschauen, klug einschätzen, was die Menschen wo brauchen und sich von einem großen Vertrauen in das Volk Gottes leiten lassen. Endlich wird einmal ausgesprochen, wieviel Glaube und ja, Vertrauen hinter jedem einzelnen Segenswunsch steckt. Wieviel Sehnsucht nach der Nähe und Hilfe Gottes. Und dass diese Erkenntnis für alle Praktiker*innen mit einer Aufgabe verbunden ist. „Diese [Segens-]Bitte sollte in jeder Hinsicht wertgeschätzt, begleitet und mit Dankbarkeit aufgenommen werden.“  Zitat! Das kann ich nur dick unterstreichen. Und dann noch ein Satz, den ich so gerne zitiere: „Die Bitte um einen Segen […] ist ein Same des Heiligen Geistes, den es zu nähren gilt, nicht zu behindern.“ Jetzt ist auch klar, warum dieses Schreiben niemanden kalt lässt – und von bestimmten Seiten Sturm dagegen gelaufen wird.

Okay, es bleibt eine große Herausforderung mindestens für die Teile der Weltkirche, die politisch an einem anderen Punkt stehen als wir. Aber ich hab es schon auf dem Synodalen Weg gesagt: „Das darf es auch!“ Wir leben nicht nur in einer pluralen Welt, sondern wir Christ*innen sind in diese plurale Welt gestellt, unsere Antworten aus dem christlichen Glauben zu finden. Und natürlich ginge mehr, vor allem bei uns. Die Erklärung „wattiert“ in jedem zweiten Satz ihre neue Entscheidung. Sie legt großen Wert darauf, dass keine neuen Riten und Regeln entstehen. Offen und frei soll jeder Segen sein. Die eine Begründung: Er muss sich vom Sakrament der Ehe unterscheiden. Und dann noch eine zweite, die ich fast kurios finde, aber irgendwie auch gut: Wenn man alles zu sehr festschreibt, führt das zu einer „schwerwiegenden Verarmung“ der Gesten und Möglichkeiten der Kirche. Heißt im Umkehrschluss: Lasst uns diese Gesten und Möglichkeiten kreativ und fantasievoll ausschöpfen.
Ja, das Schreiben bleibt weiterhin komplett heteronormativ. Aber schon so, wie es jetzt ist, schlagen die Wellen hoch. Und es enthält den entscheidenden Gedanken, den wir so dringend gebraucht haben. Den kann man jetzt schwarz auf weiß nachlesen und darin steckt auch das zweite Zauberwort: bedingungslos. In Absatz 27 heißt es: Alle sollen lernen, „die Bedeutung des bedingungslos angebotenen Segens zu verstehen: Es ist Gott, der segnet“. Das heißt im Klartext:  Niemand auf Erden sollte sich anmaßen Kontrolleur oder Kontrolleurin der Gnade zu spielen. Segen ist keine moralische Instanz. Er ist immer ein Geschenk. Und ein Glück – schaut euch gerne mein Video dazu an. Menschen dürfen segnen und gesegnet werden. Und genau das werden wir jetzt tun. Mögen es großartige, überraschende, bestärkende und zuversichtliche Erfahrungen für ganz, ganz viele werden. In diesem Sinne – bleibt behütet bis zum nächsten Mal.

Und hier, wie versprochen, der Link zu dem erwähnten YouTube-Video aus der Reihe Kirchenkram:


Fiducia supplicans - eine Segen für die Liebe und die katholische Kirche

Kurz nach Veröffentlichung dieses Beitrag habe ich Hinweise erhalten, dass Betroffene die Hoffnung und Zuversicht, die in dem Beitrag zum Ausdruck kommen, nicht so optimistisch eher anders sehen. Das möchte ich an diese Stelle nicht verschweigen.  Auf der Internetseite des eingetragenen Vereins #OutInChurch Für eine Kirche ohne Angst (Kick auf den Vereinsnamen) z.B. erfahren Sie mehr.

Dr. Martina Kreidler-Kos studierte katholische Theologie an der Eberhard-Karls-Universität Tübingen und erlangte im Jahr 1999 ihren Doktortitel mit einer Arbeit über die heilige Klara von Assisi. Frau Kreidler-Kos ist derzeit Leiterin der Abteilung Seelsorge im Generalvikariat des Bistums Osnabrück und lebt im Osnabrücker Land. Darüber hinaus ist sie aktives Mitglied der Pfarrei in Icker.