Digitalisierung und christlicher Glaube – geht das zusammen? Und was sind die Christlichen Perspektiven bei der Digitalisierung der Welt? Dieser Frage geht Elmar Kos in seinem Beitrag in dieser Reihe nach. Lesen Sie, was er dazu schreibt.
Was sagt der christliche Glaube zur Digitalisierung?
Es ist längst eine Binsenweisheit, dass wir alle unmittelbar von der Digitalisierung betroffen sind und dass sich die Welt für jeden von uns durch die Digitalisierung grundlegend verändert hat und weiter verändert. Selbst jene, die nur gelegentlich mit dem Internet zu tun haben und in einem Beruf tätig sind, der noch nicht direkt auf digitale Elemente zurückgreift, sind stärker von den massiven Veränderungen und Eingriffen durch die Digitalisierung betroffen, als ihnen meist klar ist. Jede Aktivität mit dem Smartphone, jede Suchanfrage, jede Kommunikation über einen Messenger, oft schon allein der Besuch beim Arzt hinterlässt Spuren und schafft Daten, die gesammelt werden und uns zuordenbar bleiben. Das darf uns nicht gleichgültig sein. Auch wenn wir uns mit der Einstellung zufriedengeben, dass wir nichts zu verbergen haben, sind Phänomene des Datendiebstahls und -missbrauchs für jeden von uns beunruhigend. Außerdem sollte unsere Solidarität jenen Menschen gelten, die aus gutem Grund etwas verbergen (z. B. die sexuelle Orientierung) wollen, weil sie zu Recht Nachteile oder gar Verfolgung befürchten müssen.
Mehr Freizeit? - Von wegen!
Wie oft wurde uns schon versprochen, dass die Digitalisierung die Arbeit erleichtert und mehr Freizeit schafft. Das war so, als der Computer begann, die Büroarbeit zu prägen, das war so, als die E-Mail den Briefkontakt ersetzte. Tatsächlich aber führten diese Veränderungen hauptsächlich zu einer Verdichtung der Arbeit. Wir haben nicht weniger Druck und mehr Freizeit, sondern wir müssen mehr Arbeit in derselben Zeit erledigen. Wir haben mehr Druck und weniger Freizeit angesichts der ständigen Verfügbarkeit und Erreichbarkeit. Jetzt wird wieder dieses Versprechen in Bezug auf selbstfahrende Autos gegeben. Jede Werbung zeigt entspannte, entweder lesende oder spielende Insassen. Dabei wird auch hier gelten, dass die gewonnene Zeit zur Arbeitszeit werden wird.
Programme entscheiden über Wohl und Wehe
Daneben betrifft uns alle die zunehmende Automatisierung, die nahezu in allen gesellschaftlichen Bereichen eine Rolle spielt. Das selbstfahrende Auto ist zwar noch in der Entwicklung, aber es wird früher oder später den Verkehr in den Städten bestimmen. Und das Militär verfügt bereits über Drohnen, die zumindest in der Lage sind, ohne menschlichen Einfluss oder Entscheidungsgewalt Aktionen bis zur Tötung von Menschen durchzuführen. Die umgangssprachliche Bezeichnung als „Killerroboter“ ist hier sehr anschaulich. Aber auch in wesentlich alltäglicheren Fällen verändert die Automatisierung unser Leben. Ein Großteil der Finanzgeschäfte läuft auf der Grundlage automatisierter Programme ab. Das betrifft uns, wenn es um den Aktienkurs geht, das betrifft uns aber auch, wenn es um Kreditanträge geht. Auch diese Entscheidungen werden zunehmend formalisiert und von Programmen gefällt, die die jeweilige Kreditwürdigkeit „errechnen“. Selbst wenn es um unsere Gesundheit geht, nimmt der Einfluss digitalisierter Entscheidungsprozesse zu. Einerseits zu unserem Vorteil, wenn die neuen Programme auf der Grundlage von enormen Datenmengen (Big Data) z. T. besser als medizinische Spezialistinnen und Spezialisten ausgehend von beobachtbaren Phänomenen eine dafür verantwortliche Krankheit identifizieren können. So sind die vorhandenen Computerprogramme bei der Erkennung von Hautkrebs mittlerweile schon zuverlässiger als anerkannte Dermatologinnen und Dermatologen. Andererseits schafft die Datenmenge, zu der wir unsere Daten beitragen müssen, damit die Programme so erfolgreich sein können, große Gefahren für die Einzelnen. So ist bspw. das Interesse der Krankenversicherungen groß, um mit diesen Daten besser ihre ökonomischen Interessen zu Lasten der Patientinnen und Patienten verfolgen zu können.
Primat der Wirtschaft
Und was hat all das mit dem christlichen Glauben zu tun? Zunächst nicht viel. In Bezug auf die reinen Mechanismen können wir uns nur staunend sagen lassen, zu welchen technischen Möglichkeiten die Digitalisierung fähig ist. Doch wenn wir darüber hinaus fragen, was wir mit diesen technischen Möglichkeiten erreichen wollen, wenn wir fragen, ob diese technischen Möglichkeiten dem Menschen guttun, dann wird der christliche Glaube zu einem unersetzbaren Gesprächsteilnehmer in der gesellschaftlichen Diskussion über die Digitalisierung. Wer gibt zurzeit die Ziele vor, die durch diese Digitalisierung, Automatisierung und gesammelte Daten erreicht werden sollen? Es sind ausschließlich einige wenige privatwirtschaftliche Unternehmen, die eindeutig ökonomische Interessen verfolgen und auf dieser Grundlage Möglichkeiten und Grenzen dieser technischen Entwicklung bestimmen. So haben Google und Facebook, wie sich in den letzten Jahren gezeigt hat, enormen Einfluss auf die politische Urteilsbildung der einzelnen. Das hat sicher u. a. auch zum Aufstieg des Populismus beigetragen. Diese Unternehmen verfolgen dabei aber nicht am Gemeinwohl orientierte, demokratisch legitimierte Ziele, sondern ausschließlich profitorientierte Ziele. Das ist keine Boshaftigkeit, sondern als privatwirtschaftliche Unternehmen müssen sie nach dieser Logik verfahren.
Kirchen in gesellschaftlicher Verantwortung
Die Diskussion über diese Zusammenhänge wird in unserer Gesellschaft noch viel zu wenig geführt. Gleichzeitig schafft die technologische Entwicklung immer mehr Fakten, die kaum wieder zu beseitigen sein werden. Diejenige Instanz, die nicht aus Eigeninteresse, sondern aus aufrichtiger Sorge um den Menschen diese Diskussion gesellschaftlich einklagen kann und muss, sind die Kirchen. Ausgehend vom christlichen Glauben müssen die Gläubigen und die Kirchen als Institutionen Alarm schlagen angesichts dieser Entwicklungen, in denen die Gefahr real ist, dass der Mensch nicht mehr die zentrale Orientierungsgröße darstellt.
Christliche Perspektive
Immer mehr lernfähige Algorithmen können ihre Ziele zunehmend eigenständig bestimmen. Wir müssen jetzt in einer breiten Diskussion dafür sorgen, dass dabei der Mensch nicht aus dem Blick gerät. Das Christentum, für das der Mensch nicht nur Ebenbild Gottes, sondern die „Inkarnation“ Gottes ist, ist hier unmittelbar gefordert. Jeder und jede von uns muss einerseits im unmittelbaren Umgang mit diesen Techniken, andererseits aber vor allem in gesellschaftlichen Diskussionen (was sollen Internet-Unternehmen alles können, was wollen wir alles automatisieren) Stellung beziehen und andere damit konfrontieren. Unter Umständen kann sich dabei zeigen, dass die großen Internet-Unternehmen aufgeteilt („zerschlagen“) werden müssen, weil sie gefährlich werden für die Demokratie. Diese Unternehmen selber werden kaum eine solche Idee verfolgen. Für eine solche kritische Perspektive, die das Wohl der Menschen über alles stellt, brauchen wir den christlichen Glauben. Natürlich können diese Perspektive auch andere Religionen oder Weltanschauungen vertreten, aber noch ist der gesellschaftliche Einfluss der Institution Kirche so groß, dass vor allem ihr Einsatz erfolgversprechend ist. Wir können diese Aufgabe nicht einfach an die offiziellen Vertreter der Kirche abgeben (die sich ohnehin viel zu wenig zu diesen Fragen äußern). Jeder und jede von uns ist hier im christlichen Glauben herausgefordert. Wir brauchen die Stimme des Christentums bei der Beantwortung der Frage, wann helfen Digitalisierung und Automatisierung dem Menschen und wann werden diese technischen Entwicklungen gefährlich für den Menschen. Um zu vermeiden, dass durch die Digitalisierung neue Götzen entstehen, die den Menschen unfrei machen, unterdrücken und knechten, brauchen wir die Stimme des christlichen Glaubens. Wir brauchen hier die Mitsprache von allen Christinnen und Christen, von jedem und jeder Einzelnen von uns.
Elmar Kos
Prof. Dr. Elmar Kos studierte katholische Theologie und Philosophie an der Eberhard Karls Universität Tübingen. 1996 promovierte er an der Universität Tübingen in Katholischer Theologie. 2001 folgte dann die Habilitation, ebenfalls in Tübingen. Nach Zwischenstation in Siegen ist er seit 2000 in Osnabrück tätig. Seit 2003 lehrt er an den Universitäten Osnabrück und Vechta Moraltheologie. Elmar Kos wohnt im Osnabrücker Umland und ist aktives Mitglied in der Pfarrgemeinde Icker.