Die Frage, die derzeit für viele Christen von höchster Aktualität und Dringlichkeit ist, wird von Martina Kreidler-Kos aufgegriffen. In einem emotionalen YouTube-Video teilt sie ihre persönliche Antwort auf diese Frage. Im Folgenden können Sie den genauen Wortlaut ihrer Aussage nachlesen:
Gehen oder bleiben?!
„Should I Stay or Should I Go?“ In den Achtzigern ein Punkrock Hit – heute eine der drängendsten Fragen für viele christliche Menschen: Bleibe ich in meiner Kirche oder sollte ich nicht doch besser gehen? Wenn diese Frage euch eine echte Auseinandersetzung wert ist, schaut euch dieses Video an (Anm. d. Red.: Link zum Video s.u.).
„Geh‘n oder bleiben? Das ist hier die Frage.“ Viele haben es längst entschieden und sind schon weg. Andere zerbrechen sich weiter Kopf und Herz darüber und auch wenn das manchmal polemisch behauptet wird: Das macht sich niemand leicht! Weil es da um Heimat geht und Zugehörigkeit. Und oft um viele gute Erfahrungen, trotz allem Schlammassel. Aber Gründe fürs Gehen gibt’s mehr genug: Missbrauchsfälle, Vertuschungsmanöver, Diskriminierung, mangelnde Reformbereitschaft, machtvolle Behäbigkeit – und, o mein Gott, diese Liste ließe sich fortsetzen.
„Ich halte es in dieser Kirche aus, weil es auch Jesus Christus in ihr aushält.“ Das hat vor langer Zeit mal ein franziskanischer Freund gesagt und das hat mich damals schwer beeindruckt. Ich hab es oft zitiert - unlängst wieder bei einer Podiumsdiskussion. Da fragte die Moderatorin spitz zurück. „Tut er das? Hält es Jesus Christus noch in dieser katholischen Kirche aus?“ In dieser Frage, so provozierend sie gemeint war, steckt Wahres drin. Wir können viele Dinge nicht mehr ungebrochen sagen. Mit einem trotzigen „Trotzdem!“ kommen wir nicht weiter, und erst recht nicht mit einfachen Rechtfertigungen. Und was gar nicht mehr funktioniert, oder mindestens mich ermüdet, ist der traurige Blick zurück: Früher war alles besser! O nein – ich will nicht zurück in eine katholische Kirche, wo in Listen von unentschuldigt fehlenden Messdienern – früher waren das nur Jungs – „Versager“ eingetragen wird. Um nur mal eines der harmloseren Beispiele zu nennen. Oder wo ein schwangeres Paar nur in Schwarz und in der Sakristei heiraten darf. Nein, danke, ich bin sehr froh, dass das heute anders ist.
Klar wäre es schön, wenn die Kirchen wieder voller wären. Weil Glaube zusammen so viel, viel mehr Freude macht. Aber zu anderen Bedingungen! Und deshalb brauchen wir jetzt eine Idee! Da könnte uns ein kleines unscheinbares Wort zu Hilfe kommen: „dennoch“. Kein trotziges „Trotzdem!“, sondern ein hoffnungsvolles, nervenstarkes und einfallsreiches „Dennoch“. Diese Idee stammt nicht von mir, sondern von einem klugen Theologen unserer Zeit, danke Matthias Sellmann. Aber ich buchstabiere das mal für mich durch: Eine „dennoch-Spiritualität“ könnte heißen: Die kostbaren Quellen, allen voran die biblische Botschaft, nicht verloren geben, sondern weiter und innovativ erschließen. Die tüchtigen, integren und engagierten Mit-Kirchenangehörigen, die es eben auch gibt, nicht geringschätzen, sondern stärken. Die guten Erfahrungen nicht ad acta legen, sondern vermehren. Und die schwierigen Verhältnisse nicht schönreden, sondern ändern. Ich möchte eine „Dennoch-Christin“ sein. Eine, die nicht ausblendet, was alles angepackt werden muss, aber ihre Kirche nicht einfach den Machteliten, Unglückspropheten oder Schwarzseherinnen überlässt. Der Schatz, den wir anvertraut bekommen haben, ist einfach zu wertvoll: Das Evangelium von der Liebe Gottes, die allen gilt und allen Gutes will.
Ich möchte nicht gehen, weil ich nicht alleine glauben will - und auch nicht kann. Ich stehe auf den Schultern so großartiger Menschen, die vor mir in dieser Kirche gelebt und geglaubt haben. Und da ist auch nicht immer alles easy gewesen. Ihr kennt ja meine Lieblingsheiligen schon: Die beiden aus Assisi – Klara und Franz. Aber da gibt es noch viel, viel mehr. Große Gestalten und auch kleine Leute, ein junger Pfarrer, der mich in meiner Jugend so unterstützt hat – danke, Josef, an dieser Stelle einmal! Eigenwillige Ordensfrauen, eine christliche Jugendband, ein Theatermacher, eine kluge ältere Mitstudentin – diese Liste wird auch lang und immer länger – wie schön! Und heute, da gibt es einen tollen Stuff, der hier diesen Kirchenkram möglich macht – danke, Eva – hinter der Kamera! – und großartige Kolleginnen und Kollegen, aufrechte junge und alte Synodale, es gibt – man sollte es fast nicht glauben - eine ganze Menge guter Leute in meiner Kirche. Und damit die auch in Zukunft noch darin leben und atmen und arbeiten können, finde ich, sollte man sie nicht alleine lassen.
Klar wird es darauf ankommen, wieviel Kraft wir innerlich mobilisieren, um all diese Langsamkeit, all diese Traurigkeit und – ja auch all diese Machtspiele – auszuhalten und all dem etwas entgegenzusetzen. Ich stelle mir diese Frage dreimal am Tag: Wieviel Geduld und Vermittlungsbereitschaft ist angemessen und wann ist es Zeit aus der Haut zu fahren. Diese Fragen finde ich legitim. Aber nicht: Wann ist es Zeit aufzugeben? Weil ich glaube und manchmal auch nur hoffen kann, dass auch Jesus Christus sich weder vor die Tür dieser Kirche setzen lässt, noch sich einfach davonmacht. Im Gegenteil, er wird mit allen Kämpfer*innen wütend sein und mit allen Dennoch Christ*innen einfallsreich. Und zwischendurch wird er auch immer Lust und Freude daran haben, mit uns unseren Glauben zu feiern. In diesem Sinne – ja - bleibt - dabei und behütet.
Martina Kreidler-Kos
Dieses und andere Videos u.a. von Martina Kreidler-Kos finden Sie in der Rubrik KirchenKram im YouTubekanal „Das Bodenpersonal“ .
Dr. Martina Kreidler-Kos studierte katholische Theologie an der Eberhard-Karls-Universität Tübingen und erlangte im Jahr 1999 ihren Doktortitel mit einer Arbeit über die heilige Klara von Assisi. Frau Kreidler-Kos ist derzeit Leiterin der Abteilung Seelsorge im Generalvikariat des Bistums Osnabrück und lebt im Osnabrücker Land. Darüber hinaus ist sie aktives Mitglied der Pfarrei in Icker.